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CliftonStrengths verstehen: Wissenschaft oder Wohlfühl-Tool?

Aktualisiert: 13. Aug.


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Ein fundierter Blick auf das weltweit genutzte Stärken-Assessment


Du hast von CliftonStrengths (früher StrengthsFinder) gehört und fragst Dich, ob das mehr als ein Marketing-Tool ist? Du hast Recht, kritisch zu sein. Psychometrische Tests sind nicht alle gleich geschaffen, und bei der Flut an Persönlichkeitsassessments ist gesunde Skepsis angebracht. In diesem Artikel erfährst Du, was die Forschung tatsächlich über CliftonStrengths sagt.

 

Was ist CliftonStrengths eigentlich?


CliftonStrengths ist ein Online-Assessment mit 177 Item-Paaren, entwickelt von Don Clifton unter dem Dach des Meinungsforschungsinstitutes Gallup. Das Assessment identifiziert Deine stärksten von insgesamt 34 Talentthemen wie beispielsweise "Strategie", "Einfühlungsvermögen" oder "Wissbegier". Diese Themen sollen natürliche Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster beschreiben, die Du produktiv einsetzen kannst.


Der Unterschied zu vielen anderen Tests: CliftonStrengths misst nicht ausschließlich, was Du gut machst, sondern wo Dein Potenzial für Spitzenleistung liegt. Nach Gallups Formel gilt: Talent × Investment = Stärke. Das Assessment zeigt Dir die Rohmaterialien. Die Stärke entwickelst Du durch Selbst-Bewusstsein und gezieltes Training.

 

Das wissenschaftliche Fundament


Die Datenbasis


CliftonStrengths basiert auf Erkenntnissen aus über 30 Jahren Forschung, in denen Don Clifton und sein Team etwa 2 Millionen strukturierte Interviews für verschiedene Zwecke durchführte. Das Team untersuchte systematisch herausragende Performer in verschiedenen Berufsfeldern und identifizierte wiederkehrende Erfolgsmuster. Diese Muster wurden zu den 34 Talentthemen verdichtet.


Psychometrische Validierung


Die Gallup-Forscher haben das Assessment wiederholt wissenschaftlich überprüft. Eine Studie der Universität Villanova mit 438 Studierenden zeigt:


  • Test-Retest-Reliabilität (1): Durchschnittlich 0,70 über 8-12 Wochen (statistisch akzeptabel)

  • Interne Konsistenz (2): Durchschnittlich 0,61 (angemessen für die Zweckbestimmung)

  • Konstruktvalidität (3): 93,4% der vorhergesagten Korrelationen mit etablierten Persönlichkeitsinstrumenten wurden bestätigt

 

Was die Meta-Analysen zeigen


Gallup hat 2015 und 2018 umfassende Meta-Analysen durchgeführt. Die Studien umfassten 43 Studien mit 1,2 Millionen Teilnehmenden aus 45 Ländern und zeigen messbare Verbesserungen bei:


  • Mitarbeiterengagement: bis zu 15% Steigerung

  • Kundenbindung: bis zu 7% Verbesserung

  • Produktivität: bis zu 14% höhere Leistung

  • Profit: bis zu 29% Gewinnsteigerung


Eine aktuelle Literaturstudie von 2023 bestätigt: Stärkenbasierte Interventionen im Hochschulbereich führen zu besserer Studienleistung und geringeren Abbrecherquoten.

 

Die kritischen Stimmen


Kein Assessment ist perfekt, und CliftonStrengths hat Kritiker. 2024 erschien eine Studie im Consulting Psychology Journal, die methodische Schwächen anprangert. Die Hauptkritikpunkte:


  • Reliabilitätsprobleme: Nach einem Monat zeigten nur die Hälfte der 34 Themen ausreichende Stabilität

  • Konstruktvalidität: Nur eine peer-reviewte Studie zur Validität, die "signifikante Verzerrungen" feststellte

  • Methodische Mängel: Viele von Gallup zitierte Studien seien unveröffentlichte Dissertationen oder hätten zu kleine Stichproben

 

Einordnung für Praktiker*innen


Die Stärken des Assessments:


  • Solide theoretische Grundlage in der positiven Psychologie

  • Umfangreiche Datenbasis über Jahrzehnte

  • Nachgewiesene Praxisrelevanz in Organisationen

  • Präzise Sprache für Selbstverständnis und Teamentwicklung

 

Die Grenzen:


  • Nicht für Personalauswahl geeignet (auch nicht von Gallup empfohlen)

  • Ergebnisse können sich über Zeit verändern

  • Kulturelle Unterschiede in der Anwendbarkeit

  • Entwicklung ist notwendig - das Assessment allein bewirkt wenig

 

Fazit: Nützliches Werkzeug mit Grenzen


CliftonStrengths ist weder Hokuspokus noch die Lösung aller Entwicklungsfragen. Es ist ein gut erforschtes Instrument mit klaren Anwendungsgrenzen. Das Tool kann wertvoll sein, weil es:


  • Eine gemeinsame Sprache für Talente schafft

  • Selbstreflexion strukturiert anregt

  • Konkrete Ansatzpunkte für Entwicklung bietet

  • In der Praxis millionenfach bewährt ist


Die Bedingung: Du nutzt es als Gesprächsstarter und Entwicklungshilfe, nicht als absolute Wahrheit. Kombiniert mit professioneller Begleitung und eigenem Investment kann CliftonStrengths Dir helfen, Deine natürlichen Muster zu verstehen und gezielt zu entwickeln.

Wie bei allen psychometrischen Instrumenten gilt: Das Assessment liefert Hypothesen über Dich. Die Wahrheit findest Du in der praktischen Anwendung.


Fußnoten und Quellen

 

Erklärung der psychometrischen Begriffe


(1) Test-Retest-Reliabilität


Einfach erklärt: Bekomme ich ähnliche Ergebnisse, wenn ich den Test nach einiger Zeit noch einmal mache?


Die 438 Studierenden machten den CliftonStrengths-Test zweimal im Abstand von 8-12 Wochen. Ein Wert von 0,70 bedeutet: 70% der Antworten waren beim zweiten Mal konsistent. Das gilt als "akzeptabel" für psychologische Tests.


(2) Interne Konsistenz


Einfach erklärt: Messen alle Fragen zu einem Thema wirklich dasselbe?


Wenn das Thema "Disziplin" aus 10 Fragen besteht, sollten alle 10 Fragen ähnlich beantwortet werden. Der Durchschnittswert von 0,61 bedeutet: Die Fragen hängen moderat zusammen, was für die Zweckbestimmung des Tests ausreichend ist.


(3) Konstruktvalidität


Einfach erklärt: Misst der Test wirklich das, was er zu messen behauptet?


Die Forscher verglichen CliftonStrengths mit zwei etablierten Persönlichkeitstests. Von 137 vorhergesagten Zusammenhängen wurden 128 (93,4%) bestätigt. Beispiel: Das CliftonStrengths-Thema "Woo" (Menschen gewinnen) korrelierte erwartungsgemäß stark mit "Extraversion" in anderen Tests.

 

Quellen


Schreiner, L. A. (2006). Psychometric properties of the Clifton StrengthsFinder® with college students [Technical report]. Azusa Pacific University; Villanova University. https://www1.villanova.edu/content/dam/villanova/provost/teaching-learning/ignite-your-strengths/faculty-student-resources/clifton-strengths-technical-report.pdf


Gallup. (2015). Strengths Meta-Analysis Report. Gallup. https://www.gallup.com/cliftonstrengths/en/269615/strengths-meta-analysis-2015.aspx

 


Gallup. (2023). The Impact of CliftonStrengths on Student Engagement and Retention. Gallup. https://www.gallup.com/education/544691/impact-cliftonstrengths-student-engagement-retention.aspx

 
 
 

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